Erfahrungsbericht
Eine unerwartete Freude
Alles lief nach Plan. Meine Freundin Mara ging am Dienstagmorgen ans Telefon, trotz Besuch. Nach ein paar leicht verwirrten Sätzen machte sie es sich auf dem Sofa bequem, lauschte in den Hörer hinein und schien wie weg von dieser Welt! Ganz versunken saß sie da und für die nächsten 20 Minuten hörte ich nur ab und zu ein fein gehauchtes 'oh’ oder 'hm’ oder 'mh“. Hätte ich eine Tasse fallen lassen, ich glaube, sie hätte es nicht bemerkt! Nachdem sie aufgelegt hatte, brauchte es einige Zeit, bis sie wieder ganz „von dieser Welt“ war.
Meine Freundin hatte in den letzten Wochen einfach irgendwie Kummer. Das war deutlich zu spüren, auch wenn ich nicht genau wusste, worum es geht. Ich hatte Lust, ihr etwas Schönes zukommen zu lassen , einfach so. Darum buchte ich Märchen am Telefon für sie.
Dreimal schon hatte ich bei der Märchenerzählerin Xenia Busam Geschichten bestellt. Bisher verschenkte ich sie zum Geburtstag und jedes Mal waren die Frauen (von fast 40 bis über 60) ganz begeistert. Das Geschenk kündigte ich jeweils geheimnisvoll an und vereinbarte einen Zeitpunkt, an dem die Geburtstagskinder zuhause sind. Aufgabe war: Zeit nehmen, bequem machen und überraschen lassen.
Für Mara habe ich die Überraschung anders eingefädelt: Um sicher zu sein, dass sie zu Hause ist, lud ich mich selbst zum Frühstück ein. Damit sie auch trotz Besuch ans Telefon geht, kündigte ich an, dass mein Mann vermutlich wegen eines Handwerkers anrufen werde. Das Vorhaben ist geglückt. Xenia Busam hat drei Märchen für Mara ausgesucht und sehr eindrucksvoll und lebendig erzählt. Meine Freundin war tief bewegt. In einem der Märchen wurde beispielsweise von einem Blinden erzählt, der mit den Ohren sieht und dadurch weit mehr ergründen kann, als für das Auge sichtbar ist. Mara ließ sich in die Geschichte einspinnen , begleitete den Blinden Schritt für Schritt auf seinem Weg durch das Abenteuer.
Ich selbst bin in den letzten Jahren mehr und mehr dabei, die faszinierende Kraft von Märchen zu entdecken. Nun war ich aber selbst überrascht, wie tröstlich diese alten Geschichten wirken können. Als Mara nach dem Telefonat mir von dem soeben Erlebten berichtete, standen ihr plötzlich Tränen in den Augen, gleichzeitig hatte sie ein erlöstes Lächeln auf dem Mund. So tief war sie angerührt worden.
Einige Wochen später sagte sie: „Die Märchen klingen noch immer in mir nach. Es ist, als ob diese Geschichten nur für mich geschrieben und erzählt worden wären.“ So ähnlich äußerten sich auch die anderen Freundinnen, denen ich Märchen zum Geburtstag geschenkt hatte. Eine von ihnen rief mich unmittelbar nach den Telefonat mit der Märchenerzählerin an und meinte: „ Du, das war wirklich was ganz Besonderes. Weißt du, ich hätte noch stundenlang zuhören können. Diese Märchen sind nun „meine“ und ich werde sie immer behalten.“
Ursel Lempp, Stuttgart